Der Ganges und der Nil gehören zu den großen Flüssen der Welt. Lange bevor sie zwei der spektakulärsten und berühmtesten Flussdeltas speisen, führen ihre Ströme steile Stromschnellen und Katarakte hinab, für die sich Wasserkraft-Enthusiasten und Entwicklungsverfechter brennend interessieren: Denn strömendes Wasser lässt sich in Strom umwandeln, und Strom ist eine der wichtigsten Währungen der Entwicklung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde am Nil, der durch den Sudan fließt, ein neuer, gigantischer Staudamm gebaut, und eine Reihe anderer Staudammprojekte am Ganges im indischen Himalaya wurden abgebrochen.
Franz hatte kürzlich die Gelegenheit, Georgina Drews River dialogues: Hindu faith and the political ecology of dams on the sacred Ganga (2017) - Rezension hier - und Valerie Hänschs Vertreibung und Widerstand im sudanesischen Niltal: Ein Staudammprojekt und der Versuch zu bleiben (2019) - Rezension hier - zu rezensieren. Beide Ethnographien beschreiben detailliert die Unsicherheiten und Strategien der Flussuferbewohnerinnen und -bewohner in den (geplanten) Opferzonen: Hänsch konzentriert sich auf die Zeit, als sich der Stausee füllte und die große Mehrheit der betroffenen Bevölkerung immer wieder an den Rändern des wachsenden Stausees verdrängt wurde, da sie sich weigerten, in offizielle Umsiedlungsdörfer zu ziehen, wo sie völlig abhängig von einer staatlichen Verwaltung wären, der sie gelernt hatten zu misstrauen. Drew berücksichtigt besonders die Rolle des Hinduismus in den Artikulationen des Widerstands gegen die Aufstauung eines heiligen Flusses, vor allem unter den Frauen, und die wechselnden politischen Gezeiten vom Staudamm-Enthusiasmus bis hin zu Naturschutzvorschriften, die beide diese Frauen und ihre Handlungsfähigkeit und Interessen ignorieren.
Diese großen Staudamm-Ethnographien legen Zeugnis davon ab, dass groß angelegte infrastrukturelle Entwicklungsprojekte mit katastrophalen Folgen für die betroffenen Bevölkerungen keine Sache der Vergangenheit sind, also einer Reihe von fehlgeleiteten Phantasien des 20. Jahrhunderts. Wie der Geograf Bill Adams, Autor von Wasting the rain: rivers, people and planning in Africa (1992), kürzlich in einem Blogbeitrag feststellte, sind gegenwärtige Dammbauten genauso problematisch wie vor 30 Jahren, als er das Buch schrieb: “Too many dams are still being conceived and planned without adequate consideration of issues such as long-term impacts on resettled and downstream communities, reservoir methane, or the long-term sustainability of growth-based economic development models.”
Er stellt fest, dass die Logik der Entwicklung als groß angelegte Eingriffe, um groß angelegte Veränderungen zu bewirken, die den betroffenen Menschen große Opfer abverlangen, aber große wirtschaftliche und andere Gewinne versprechen (oft mit großen Fehlschlägen und unbeabsichtigten, negativen Folgen), unvermindert weitergeht, und dass große Dämme das perfekte Werkzeug sind, um dies zu erreichen. In Bill Adams' Worten:
The problem today, as in the 1980s, is that dams epitomise ‘development from above’. They emerge from a technical development planning complex that sits outside the societies that they chiefly affect. They are designed in terms of national or international development needs, not the needs of floodplain people. They are conceived of as a way to increase the size of the national economy, and to bring the maximum number of people within that economy out of poverty. Questions of the distribution of the economic pie are treated as secondary. […] Too often, riverine societies are therefore treated as eggs that have to be broken to make the omelette of development.
Der Blog-Beitrag merkt an, dass diese Probleme nicht neu sind und Vorschläge zur Minimierung negativer Auswirkungen von Entwicklungsprojekten, insbesondere in Bezug auf Flüsse und die Bewohner ihrer Ufer, ebenfalls schon lange gemacht werden. Bill Adams verweist auf den Bericht der World Commission on Dams, Dams and development: A new framework for decision-making (2000), als gutes Beispiel für die Planung von großen Wasserinfrastrukturen. In seinen eigenen Worten geht er sogar noch weiter und argumentiert:
we need an approach to dams that makes those affected into the main beneficiaries: not bought off, moved and forgotten, but treated as the key stakeholders. We need to treat floodplains as the heart of future development, not raw material to be consumed to feed endless economic growth elsewhere. We need joined-up thinking about rivers and their waters, not narrow attempts to find sites to build dams. We need a river industry, not a dams industry, willing to consider rivers from an interdisciplinary perspective, and capable of holistic planning. We also need an approach to development that does not assume that water is being ‘wasted’ unless a river is dammed. […] We need an approach that does not see development as a transitive verb, something done to people, but instead sees it as helping people bring about change themselves.
Danke, Bill Adams, für die Diskussion über das große Ganze, und danke, Georgina Drew und Valerie Hänsch, für die detaillierten Analysen, wie das Leben entlang der großen Flüsse und der großen Entwicklungsprojekte aussehen kann.