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Rhythmus und Beziehung an Wasserorten: eine Ethnographie des Parnaíba Deltas, Brasilien

 

Deltas sind bekannt für ihre hohe Fruchtbarkeit und ihre natürlichen Eigenschaften, aber auch für ihre Instabilität und hohe Vulnerabilität. Im Parnaíba Delta im Nordosten Brasiliens ziehen diese natürlichen Merkmale immer mehr Akteure mit unterschiedlichen Interessen an - Umweltschützer, die sich um den Schutz der Natur kümmern, NGOs, die versuchen, nachhaltige Ressourcennutzung und -entwicklung zu verbinden, Tourismusunternehmen, die eine Marktchance in der natürlichen Schönheit des Ortes sehen. Durch die Förderung der "Natürlichkeit" wird die soziale Dimension des Deltas oft in den Hintergrund gedrängt und menschliche Praktiken überwiegend in Bezug auf die Auswirkungen auf die natürliche nicht-menschliche Welt gesehen.

Dieses Dissertationsprojekt untersucht menschliche und nicht-menschliche Beziehungen aus einem anderen Blickwinkel. Das Projekt konzentriert sich auf die Verflechtungen zwischen den Deltabewohnern (portugiesischsprachig von gemischter indigener, afrikanischer und europäischer Herkunft ) und der nicht-menschlichen Welt, anstatt die soziale von der natürlichen Welt zu trennen.  
Im Parnaíba Delta, einer komplexen amphibischen Schnittstelle zwischen Land, Fluss und Meer, ist der Alltag von kontinuierlichen und manchmal sehr volatilen Veränderungen der Landschaft geprägt. So entstehen durch Wasserbewegungen (Gezeiten, Regen, Fluss), aber auch Sand, Sedimente und Schlamm an einigen Stellen neue Gebiete, während diese an anderen Stellen weggespült, vorübergehend geflutet oder mit Sand begraben werden.

In diesem Zusammenhang untersucht dieses Dissertationsprojekt, das insbesondere von Ansätzen der Multispeziesethnographie und Rhythmusanalyse inspiriert ist, durch ethnographische Feldarbeit die Praktiken und Erzählungen der Deltabewohner um Hydrosozialität, Zugehörigkeit und Kreativität. Das Projekt beschäftigt sich kritisch mit Ansätzen, die Landschaften als passiven und stabilen Hintergrund betrachten. Stattdessen werden nicht-menschliche Wesen (z.B. Pflanzen, Fische, Krustentiere) und Materie (z.B. Wasser, Sand und Schlamm) als aktive Teilnehmer gesehen, die soziale Welten mitgestalten. Einerseits geht es darum, wie Deltabewohner mit verschiedenen Rhythmen umgehen, z.B. durch eine Anpassung der Aktivitäten, und wie sie durch ihre Praktiken Rhythmen mitgestalten. Auf der anderen Seite wird untersucht, wie hydrosoziale Veränderungen in einer stark schwankenden Umgebung erlebt werden und wie sich dies auf die Raum- und Zeitwahrnehmung bezieht. So geht es beispielsweise um die Frage, in welchem Zusammenhang das ständige Auslöschen von Spuren vergangener Aktivitäten mit dem sozialen Gedächtnis und der Identität von Deltabewohnern steht.

 

Dieses Teilprojekt wird von Nora Horisberger geleitet.

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